Sie nannten ihn Jimmy

Sie nannten ihn Jimmy, „the ugly one“, der mit dem vernarbten Gesicht. Anke kannte ihn von früher, war sogar mal in ihn verliebt gewesen, ›voll die hässliche sau‹ hatte man ihr hinterher gerufen und nach ein paar Jahren, die sie einsam und abgeschottet hauptsächlich im Internet gelebt hatten, da fanden sie eines Abends zusammen. Jimmy hatte sich prompt an diesen Abend dazu entschieden doch einmal aus zu gehen und so fand er sich schließlich im kahlen Speiseraum der Dönerbude bei sich unten im Haus wieder. Gerade noch, kurz bevor er sich so gut als möglich angekleidet hatte, war sein Interesse bei einigen fesselnden Beiträgen der Internetgesellschaft hängen geblieben. Darunter befanden sich der berühmte, wie von meisterhaft geschriebene Bericht von Kurt Jacksony, der ausführlich berichtet hatte, wie sie ihm im Knast unter die Schürze gelinst hatten, außerdem ein Beitrag über Franck Riberys Ausflug in die Welt der bezahlten Liebe und schlussendlich erblickte er die sanften Zeilen eines gewissen Max Devantier, der ihm vorher nie aufgefallen war.

Nun saß er, mit Hemd und ordentlicher Hose, es war seine beste, neben dem fetttriefenden Schweinsspieß, der sich knusprig braun dem Schwarzen näherte. Wie mechanisch schwang die Hand des türkischen Mannes auf und ab und schnitt in immer der selben Fleischdicke wunderbare Scheiben ab, die herunterfielen und sich auf einem Berg sammelten. „Mit alles?“
Jimmy schreckte auf.: „Ja klar, man“ er versuchte krampfhaft normal zu sprechen, „hauen sie auch dick scharfe Soße drauf Meister“. Der Mann, vom Namenschild als Emre zu erkennen, schaute ihn kurz entgeistert an, lachte dann kurz auf und rief etwas, in orientalischer Sprache in den Hinterraum. Schallendes Gelächter erklang und Jimmy, dessen Soziales Einfühlungsvermögen noch nicht so weit geschädigt war, erkannte, dass er sich mal wieder richtig auffällig benommen hatte. Er verhielt sich im Weiteren ruhig und nahm den Döner sachlich entgegen. Wie er so am lieblos, mit hellblauber Plastedecke überzogenen Tisch saß, bemerkte er in den Augenwinkeln, dass eine Frau den Laden betrat. Entschlossen blickte er auf. Sie war es – Anke, ›die hässliche Sau‹. Es klang ihm immernoch in den Ohren, das Gezeter vom Schulhof, die Wurst und Käsestullen, die sie nach ihr geworfen hatten. Ihre von Pickeln überzogene krumme Nase bohrte sich in seine Gehirnwindungen und öffnete Türen darin, die er gehofft hatte für immer verschlossen zu haben. Immer neue Erinnerungsfetzen tauchten auf, setzten sich wie von Geisterhand zusammen und ergaben schlussendlich ein grausames Bild und das von grässlichem Lachen begleitete ›the ugly one, the ugly one, his body like a penisbone‹ drang ihm wieder ins Gedächtnis. „Nein, nein, fuck,“ rief er aus. Der Dönermann lachte wieder. Anke aber schaute ihn nun plötzlich an und auch sie erkannte ihn sofort wieder. „Jimmy“ sprach sie verdutzt, „du lebst!?“

Jimmy rang mit sich, das war deutlich zu sehen: „Wie ich lebe? Klar, was soll ich sonst machen?“ Anke kam auf ihn zu. Tänzelnden Schrittes wich er immer weiter zurück. Stand nun ganz nah bei dem immerfort drehenden Fleischgewultst, die Hitze drückte ihm kleine Schweißperlen aus den Poren. „Du brauchst doch keine Angst vor mir haben Jim. Ich meinte das nur, weil ja auch du Selbstmordgedanken hattest. – Das habe ich zumindest gehört.“ Jimmy schluckte: „Wer erzählt denn sowas. Mir geht es gut. Ich habe eine Job, eine Wohnung und ich kann mir einen anständigen Döner leisten.“ Anke lächelte wieder. Er sah ihr tief in die Augen, vernahm auch die runzlige Haut, das viel zu fett aufgestrichene Makeup, den Spliss in ihren Haaren, die ganze Hässlichkeit, die sie so darstellte, aber er empfand es nicht als Last. Anke bestellte derweil eine Portion Pommes mit Süß-Saurer Soße, die der Mann aus einer gammeligen Plastikflasche presste, wie er es wohl schon tausende Male vorher getan hatte. „Zwei-Fünfzig Bitte.“ Sie reichte ihm einen Hunderteuroschein. Wieder schaute der Mann kurz entgeistert, rief etwas nach hinten und zahlte zurück. „Wollen wir uns draußen auf eine Bank setzen?“ nahm sie das Gespräch mit Jimmy wieder auf, „es ist eine laue Sommernacht, sodass wir den Kitsch auch einmal extrovertiert ausleben können.“ Jimmy nahm seine Portion und folgte ihr. Wie bewunderte er ihre gefestigte Art. Irgendwie musste sie an Selbstvertrauen gelangt sein, dachte er – nur wie?
Draußen war es tatsächlich recht warm, zumindest für einen Mai, der sich ansonsten nicht mit wärmendem Ruhm bekleckert hatte. Anke aß genüsslich ihre frittierten Kartoffelstangen und führte dabei einen kleinen Monolog. Das passte gut, denn Pommes machten sich immer hervorragend, wenn man nebenbei sprechen wollte. Nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig im Mund, schmackhaft, aber nicht so, dass man dabei den Inhalt des Gespräches vergessen konnte. Jimmy hingegen knabberte noch immer am kaltgewordenen Schweinefett. Dabei lauschte er der lieblichen Stimme seiner Anke und Ja – Ja, er dachte nun schon an seine Anke, sie war ihm so vertraut geworden. Innerhalb von Minuten war er um Jahre zurückgekehrt und mit ihr fühlte er wieder die Hoffnung, die sein junges Leben noch bot.
„Wie hast du es geschafft so viel Selbstvertrauen anzuhäufen,“ fragte er sie direkt: „Ich meine dir ging es doch auch verdammt dreckig damals oder nicht? Warum bist du nicht wie ich geworden?“
Anke kaute wieder, nahm nun gefräßig mehrere Pommes mit einmal in den Mund: „Ich hab einen von denen umgenietet.“ Jimmy’s Atem stockte. „Wie umgenietet?“
– „Na ich hab den abgeknallt. Direktes Blei in die Fresse.“
„Du hast jemand umgebracht?“
– „Ja klar. Den Tom Bronko oder wie der hieß. – Ich hab den vor ein paar Jahren wiedermal zufällig getroffen bei einer Fete in meinem Heimatdörfchen. Da hat der mich dermaßen blöde angemacht, dass ichs durchgezogen hab.“
„Aber warum bist du dann auf freiem Fuß?“
– Anke lachte: „Ich bin vielleicht potthässlich, aber blöde kannst du mich nicht nennen. Hab gewartet, bis er richtig voll war. Immer schön einen Holundersekt nach dem anderen eingeschenkt. Dann hab ich ihn unter einem Vorwand zum Schlafsaal der jungen Mädchen geführt.“
Jimmy merkte wie ihm der Atem stockte. Das Blut gefror in seinen Adern.
– „Ich wusste schon immer, dass der eine perverse Sau ist. Also bin ich kurz weggeschlichen und habe gewartet bis eine von den Mädchen beginnen würde zu schreien. Das passierte auch kurze Zeit später. Mit schneller Bewegung mache ich das Licht an und sah, wie er bei einer Halbnackten am Bett stand. Plötzlich drehte er sich um. Ich drückte den Abzughebel des alten Familiengewehrs durch und er flog nach hinten. ›Ach die Hässliche‹ röchelte er. Aus seinem zerschmetternden klaffenden Arm suppte Blut. Ich schickte die Mädchen um jemanden zu holen. Dann rammte ich mir ein Küchenmesser in den Oberschenkel.“
„Was du dir selbst? Ist das nicht gefährlich?“ fragte Jimmy schon ahnend worauf es hinauslief.
– „Gefährlich nicht, wenn man sauber an den Arterien vorbeisticht, – dafür schmerzhaft. Jedenfalls drückte ich ihm das Messer dann in die Hand und rief um Hilfe. Bevor er wusste wie ihm geschah schoss ich ein weiteres Mal und traf ihn diesmal in den Bauch. Als die anderen vom Fest rüberkamen lag ich in einer Ecke und hielt mir mit einem Kissenbezug die Wunde zu. Natürlich war alles voller Blut. Tom Bronko hat zu diesem Zeitpunkt nicht mehr geatmet, aber scheinbar hatte er mir eine letzte Ehre erwiesen, denn das Messer hielt er krampfhaft in seine Faust geballt.“
„Und was passierte dann?“ fragte Jimmy nun ganz aufgedreht: „Was hat die Polizei gesagt?“
– „Ich erzählte ihnen, wie ich ihn bei den Mädchen erwischt hatte und dass ich ihm in den Arm geschossen habe, als er nicht aufhörte sie zu begrapschen. Die kleine Eva, die zu diesem Zeitpunkt als einzige wach war hat meine Geschichte bestätigt. Den zweiten Schuss rechtfertigte ich mit Notwehr, weil der Bronko mit einem Messer auf mich zugestürzt kam.“
„Das heißt du bist einfach so davorngekommen? Ohne alles, keine Anzeige, keine Untersuchungshaft oder was man so kennt?“
– „Nicht ganz, versteht sich. Natürlich wurde alles gründlich untersucht, aber der Fakt, dass Bronko schon früher in solcher Art Tat aufgefallen ist spielte mir in die Karten. Ich weiß noch genau, wie er mich kurz vor seinem Tot angesehen hat. Es schien als wenn er für einen kurzen Moment seine Dummheit abgelegt hatte, denn er säuselte etwas wie ›du ziehst das voll durch was?‹. Dann hat er ein letztes ekelhaftes verklingendes Lachen von sich gegeben und das wars dann.“
„Du bist eine kaltblütige Mörderin,“ stellte Jimmy fest. In seinem Kopf drehten sich allerlei Gedanken und Fragen und das ganze schien so absurd zu sein, dass er es kaum glauben konnte. Gleichzeitig empfand er die dunkle Heldenhaftigkeit die Anke ausstrahlte als wahnsinnig sexy und anturnend. Wie konnte jemand so gerissen sein? Fragte er sich wiederholt, lächelte dabei und sah sie an. Sie wusste wohl was in ihm vorging, denn während der wie eine Ewigkeit andauernden 5 Minuten dieses Augenblicks sagte sie kein Wort und schaute nur freundlich zurück.
„Ich kann es immer noch nicht glauben Anke, das ist ja krass. Fühlst du dich gar nicht schuldig damit?“
– „Ach Jimmy, Schuld ist doch von tiefer Irrelevanz, wenn etwas getan werden muss. Natürlich mache ich mir Vorwürfe, keine Frage. Aber unter dem Strich versuche ich das Gute zu sehen. Denn auch wenn Tom Bronko anders aussah, so war er ein Schwein. Und Schweine werden auf dieser Erde nun mal geschlachtet.“
Wieder saß Jimmy kurze Zeit einfach so da. Dann plötzlich nahm er Ankes Hand und küsste sie. Beide sahen sich an und mussten laut lachen. Sie waren hässlich. Anke eine Mörderin, aber sie hatten eine Chance. Jimmy wusste das. Vergnügt und wohl wissend, dass sie sich nun endlich dem romantischen Kitsch hingeben konnten liefen die beiden durch die Nacht hinein in eine gemeinsame Zukunft.

Jahre später schlägt Jimmy eines Morgens die Zeitung auf und liest im Lokalteil etwas über einen Kinderschänder. ›Tim B. schlug wieder zu‹ lautete die Überschrift und Jimmy las interessiert weiter. Aber erst als der Geburtsort des Täters genannt wurde, begann er stutzig zu werden. Wie im Rausch las er die folgenden Zeilen: ›Der Kinderschänder wurde gestern vom Landgericht Brandenburg zu einer Haftstrafe von 15 Jahren verurteilt. Der Grund für die hohe Strafe sei der lange Vorstrafenregister des Angeklagten so der Richter‹ Jimmy holte tief Luft und lehnte sich zurück, dann schmunzelte er und blickte an die Decke.

Alternative Enden:
1.) Acht Jahre später. Anke und Jimmy wollen heiraten. Alles ist bereit. Die schicke Kleidung steigert die Attraktivität der beiden für Außenstehende wenig. Das Schönste an diesem Abend sind die Trauzeugen. Am Abend zuvor belauscht Jimmy durch Zufall ein Gespräch zwischen seiner zukünftigen Frau und deren Freundinnen, als er an der Festhalle vorbeigeht. Eine Blonde mit prallem Busen hat gerade die allseits typische Frage nach der Art des Kennenlernens gestellt und nun antwortet Anke: „Also wir kennen uns ja schon seit der Oberstufe, aber so richtig gefunkt hat es dann erst 2012. Ich kam nichtsahnend in ein Restaurant und plötzlich sah ich ihn dort sitzen. Wir haben uns nett unterhalten. Ich hab mir eine witzige Geschichte ausgedacht und da ist er voll drauf abgefahren.“ – „Was für eine Geschichte?“ fragt die Blonde wieder. – „Na du weißt schon, eine mit Action eben, worauf Männer so abfahren, Knallharte Bräute, Blut, Heldentum, das Ganze Pipapo. Auf jeden Fall hat er mir das ganze auch fast nicht geglaubt, aber ich denke das war bei uns der Liebestropfen auf den heißen Stein oder wie man so sagt.“

2.) Die Wochen strichen ins Land und Anke strich sie am Kalender ab. Sechs Jahre war sie nun mit Jimmy zusammen und in all den Jahren hatte sie ihm nie gesagt, dass die Geschichte, bei der er sich in sie verliebt hatte erfunden war. Ihr war schnell klar geworden, und das vor allem Aufgrund ihrer Abscheulichkeit, dass sie im Leben etwas anderes Brauchte, als das Konventionelle. Wenn sie einen Mann verzücken wollte, dann ging das nicht durch Äußerlichkeit oder liebliche Reize. Ihr Körper war zu abgewrackt, als dass sich damit noch etwas anstellen ließe, das Gesicht zu vernarbt um darauf die Aufmerksamkeit des Gegenüber zu lenken. Was blieb war die Härte, das Moralische und vielleicht auch Böse und eben da hatte sie einen Stich gemacht. Nachträglich tat es ihr aber immer wieder weh, wenn Jimmy sie zärtlich ›Mörderin‹ oder ›Vollstreckerin‹ nannte, wenn sie es im Bett trieben oder er ihr mit einem lieblichen Kuss auf die Wange ein ›schlaf gut, du Killerpüppchen‹ zur Nacht ins Ohr hauchte. Sie ertrug es nur mit Mühe, die Lüge, die das Fundament ihrer Beziehung war, aufrecht zu erhalten. Jeden Tag schwor sie sich es ihm heute zu sagen, aber jeden Tag zerbrach dieser Plan an der Angst ihr Geheimnisvolles und Verrücktes Abbild zu verlieren.
3.) Sieben Jahre Später. Die Polizei wird zu einem Haus im nördlichen Berliner Speckgürtel gerufen. Als sie die Wohnung öffnen finden sie zwei schwer verletzte Personen vor. Später wird sich herausstellen, dass es sich dabei um Anke und Jimmy Walker handelte. Beide erliegen noch in der selben Nacht ihren Verletzungen. Ein Sanitäter schildert später, dass besagte Anke Walker noch etwas gesagt haben soll. Der Sanitäter spricht von einem schwer verständlichen Satz, der wohl etwas wie: ›Hätte ich damals bloß abgedrückt‹ gelautet haben könnte. Was dies alles zu bedeuten hat und wer die beiden Opfer so brutal ermordete ist aber weiter unbekannt.

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