Erlebniskonnex II

Mit röhrendem Hackgeräusch dreht sich das in dünnen Darm gepresste Fleischknäul durch die Wurstschneidemaschine in der von vielen Bewohnern favorisierten Fleischerei in der Greifswalder Innenstadt. Die Wurstthekenfrau schaut fast etwas mitleidig auf den kleinerwerdenden phallischen Gegenstand oder ist es der wütende Blick einer alt gewordenen Emanze?

Die Schlange steht wartend am gläsernen Zahlschalter, als ein hochgewachsener Mann hereintritt. Am feinen Gang und dem ordentlich, mit einer sorgsamen Bewegung, gekämmten Barthaar sieht man sofort, dass er der Herr Professor ist. Einige junge Menschen schauen auf, schwingen sich aus den tiefen Speisesesseln und verbeugen sich. Nur der schrullige DJ-Typ, den hier alle Z(appel D.)eus nennen blickt in sein mit goldenen Steinchen beschlagenes Smartphone. Nachricht von Jürgen: ›Heut Saufen und Champions Lauge‹, der Typ lacht und schreibt: ›Bring mir mal ne Laugenbrezel und ne Maß mit du Rechtschreibenazi‹ dann kratzt er sich am linken Ohr, da wo ein Ring durchs Läppchen gestochen ist.

Der Professor ist sofort rangekommen. Sein Graumeliertes Haar, von Schuppen befreit (24 Stunden lang), glänzt in der Abendsonne, die durch die Frontscheibe des Ladens fällt. „2 Bocka, bitte“ raunzt er freundlich und zieht seinen Hut wie zum Gruß. Zwei Mädchen von jungem Alter sehen verliebt auf das wohlgeformte Gesicht des Mitvierzigers. Sie wollen Karriere machen, aber auf die alte Art, mit weit geöffneten Beinen. ›Erstmal Abi, dann zu Papi‹ steht in schwarzer Schrift bei der einen in die Haut gemalt. Soll wohl eine Anspielung auf Scheidungskinder sein, deren Vater über jede Menge Geld verfügt, denkt der Herr Professor, der alles andere als auf den Kopf gefallen ist. Professur mit 22, 3 Kinder, 2 Mercedes und natürlich ein Haus am Gardasee beim Hoeneß ums Eck, da wo die Moneten durch fette Hände in Eichhörnchenlederportmonees fließen. „Aber der ist’n Guter“ hat dem Dekan immer wieder der Profscout versichert.

Der Profscout war hier in Greifswald ein von Sportarten adaptierter Prototyp eines Menschen, der mit wachem Auge und gesundem Menschenverstand und so unbestechlich wie ein italienischer Priester die Ohren nach guten Lehrkräften offen hielt. Der Professor war ihm auf seiner Suche früh aufgefallen.Zum einen aufgrund des zumindest auf dem Papier makellosen Lebenslaufs und zum anderen durch die vielen Präsentkörbe. „Wenn dir jemand einen Präsentkorb schickt, dann kannst du ihm doch keinen Korb geben“, hatte der Profscout immer wieder wie entschuldigend zu seiner Frau Anneliese gesagt. Irgendetwas in ihm war sich uneinig mit der eigenen Vorgehensweise.

Der Dj-Typ hingegen schaute schon eine ganze Weile an seinem Display vorbei auf die jungen Mädchen, die immer noch dasaßen, obwohl ihre Teller schon seit einiger Zeit leer waren. Wie lange schon sehnte er sich nach etwas Frischblut aus dem Greifswalder Jungbrunnen. Aber wie er auch grübelte wollte ihm nichts Gescheites einfallen und so beließ er es dabei, auf den nächsten Samstag zu warten wenn es wieder heißen würde: „The Last Girl takes the DJ“ was hier sowas wie das Pendant zu einem Kalkbrennerkonzert auf Mallorca darstellen sollte, nur korrekter und künstlerisch angehaucht, mit dem gewissen Flair.

Langsam lockerte sich die Anspannung, die der Professor mit seiner Anwesenheit hineingebracht hatte. Gespräche wurden lauter, das Schmatzen ätzender und auch die Fritteuse gluckerte wieder unaufhörlich wie eine Frisöse. Als der Graumelierte sein Essen entgegennahm war auffällig zu beobachten, dass die Hand der Kassiererin ihn länger als üblich berührte. Der Blickkontakt zwischen den Beiden ließ vielleicht sogar einen fiktiven körperlichen Akt erahnen, den die Beiden in einvernehmlichen Gedanken vollführten. Wenige Sekunden später, als sie sich aus ihrer innigen von niemand zu erkennbaren Umarmung gelöst hatten, blickte die Fleischerin vielsagend zur Wurstschneidemaschine und schien mit ihren Augenbrauen irgendetwas sagen zu wollen. Mit einem Mal zerbrach das interpretative Instrument in der Hand des Beobachters und war von da an unabdingbar zerstört.

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